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Es beginnt mit einer Idee. Einer Idee, die irgendwo zwischen Fachkräftemangel, steigenden Kinderzahlen und kreativer Vision ihren Ursprung hat: Was wäre, wenn ein Bauwagen den Kindergarten erweitern könnte? Klingt erstmal ungewöhnlich – doch wer an der UNTERSEE schon einmal hinter die Kulissen geblickt hat, weiß: Ungewöhnliche Ideen sind hier oft der Anfang von etwas Besonderem.Was folgte, war ein zweijähriger Weg voller Diskussionen, Planungen, Genehmigungen, Überraschungen – und einem spektakulären Transport über die Dächer der Schule hinweg. Doch am Ende steht er da: Ein wunderschöner, handgefertigter Bauwagen. Gebaut für die „Pusteblumen“, unsere Vorschulkinder. Ein Ort, der Geborgenheit schenkt, zum Forschen einlädt – und sie auf ihrem letzten Kindergartenjahr begleitet, bevor es hinüber in die Schule geht.In diesem Interview erzählen Alfons Krismann und Anne Motzkuhn, wie aus einer mutigen Idee ein pädagogisch wertvoller Raum wurde – und warum sich jetzt viele kleine Menschen ganz besonders auf ihr Vorschuljahr freuen können.

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»Der Bauwagen ist weit mehr als nur ein Raum.«

Die Idee und Vision

Werkstatt

Wie kam die Idee auf, den Kindergarten mit einem Bauwagen zu erweitern?

Alfons Krismann: Die Idee entstand im Frühjahr 2022 im damaligen Kindergartenteam und bestand v.a. darin den Unterseekindergarten kostengünstig zu erweitern. Die Bauwagen-Variante wurde als kostengünstigste und am schnellsten umzusetzende eingeschätzt und Anfang August 2022 bei der Stadt Radolfzell als Geldgeberin beantragt. Der Standort wurde bei uns intern knapp 2 Jahre lang (extensiv) diskutiert. Es stand auch zur Debatte, dass der Kindergarten ganz auszieht und komplett neu gebaut wird.

Nach vielen Abstimmungsgesprächen, vorläufigen Gemeinderatsbeschlüssen, der Baugenehmigung, Abstimmung mit weiteren Behörden wie v.a. dem Gesundheitsamt und zuletzt dem entscheidenden Betriebsgenehmigungsantrag beim KVJS Ende Oktober 2024 lagen am 02.12.2024 alle Genehmigungen vor. Zu diesem Zeitpunkt war der Bauwagen bereits bestellt und geringfügig angezahlt – die Aufnahme in den Bedarfsplan der Stadt Radolfzell (94 % Förderung und 90 % Bauzuschuss) erfolgte dann am 10.12.2024 – mit einem etwas ungewissen Gefühl, weil mittlerweile ein neuer Gemeinderat gewählt worden war.

Es ging zentral um die Möglichkeit mehr Kinder aufnehmen zu können – zum einen wegen der hohen Nachfrage, aber auch damit die Erstklässler der Unterseeschule möglichst aus dem eigenen Kindergarten stammen, was sich als pädagogisch vorteilhaft erwiesen hatte. Mit 1,5 Gruppen ist dies rechnerisch im Mittel möglich. Weiterhin ist ein etwas größerer Kindergarten mit mehr Personal weniger stark von Krankheitswellen betroffen, d.h. es muss weniger oft auf Notbetreuung umgeschaltet werden. Auszubildende dürfen ebenfalls erst ab 1,5 Gruppen aufgenommen und betreut werden.

Bis zum Sommer 2024 war es offen, ob es überhaupt ein Bauwagen wird, weil die ersten Angebote eine sehr lange Lieferzeit hatten (12 Monate) und weil die Auflagen seitens der Behörden durchweg stringent ausfielen. Z.B. war keine Genehmigung laut Naturkindergartenmodell möglich, angedachte und bereits ausgesuchte Komposttoiletten wurden nicht genehmigt und es mussten die kompletten Vorgaben der Barrierefreiheit erfüllt werden, weil aus formalen Gründen ein getrennter Einrichtungsantrag notwendig wurde. Daher wären wir Mitte 2024 beinahe auf einen normalen Holzbau umgeschwenkt, der allerdings etwas kostenintensiver ausgefallen wäre. Wir waren damals noch von der extremen Baupreissteigerung während der Coronazeit geprägt – im Mai 2022 wurde mit 1,5 Jahren Verspätung der Neubau der Unterseeschule eröffnet.

Warum ist ein Bauwagen die ideale Lösung für den Untersee-Kindergarten?

Alfons Krismann: Sicherlich ist ein Bauwagen ein heimeliger Ort, der Anziehungskraft besitzt und Geborgenheit bietet. Es ist der Ort für die Vorschulkinder – etwas worauf sie sich freuen können, wo sie einen Übergang erfahren können, der vorbereitet auf den noch größeren Schritt in die Schule. Und es ist ein Raum, der der Entwicklung der Vorschulkinder gerecht werden soll. Ein direkter Anbau – wie er kurz zur Diskussion stand – böte dies nur teilweise.

Welche besonderen Möglichkeiten bietet der Bauwagen für die Kinder und den pädagogischen Alltag?

Anne Motzkuhn: Der Bauwagen hat grundsätzlich schon aufgrund der Bauweise einfach Charme. Die abgerundete Decke und die Tatsache, dass man umgeben ist mit Holz, lässt für die Kinder direkt ein Gefühl der Gemütlichkeit und der Wärme entstehen, was total schön ist.

Für 12 Kinder ist ausreichend Platz, besonders aufgrund dessen, dass wir als Kindergarten sehr naturverbunden arbeiten und viel an der frischen Luft sind.

 

Der Planungs- und Bauprozess

Baustelle

Wie lief die Planung ab – von der ersten Idee bis zur Umsetzung?

Alfons Krismann: Kurz gesagt, es war aufregender wie geplant, komplizierter wie erhofft und es stand wirklich lange auf der Kippe. Der Prozess damals mit dem Kigateam und Hannah als Leitung war sehr produktiv und wir waren uns sehr schnell klar, was wir wollten und leisten konnten. Die Zusammenarbeit und Unterstützung seitens der Stadt Radolfzell war tatsächlich in jeder Phase vorbildlich, obwohl auch dort wie bei uns viele Personalstellen neu besetzt werden mussten. 

Zur konkreten Planung im baulichen Sinne: Es gab 12 Planentwürfe seitens unseres Architektens – also relativ wenige (die Schulbauten hatten rund 30). Die Erfüllung der vielseitigen Anforderungen an einen solchen Sonderbau forderte unseren Architekten immer wieder aufs Neue. Aber auch bei uns, bei mir als vertretender Bauherr, dem Vorstand und immer wieder auch dem Kindergartenteam war die zeitliche Belastung phasenweise sehr hoch – zumal die gesamte Planung und Baubegleitung „nebenbei“ erfolgte.

Im Prinzip blieb aber der Kerngedanke von Beginn bis zum Schluss gleich – außer die WC-Container, die wir nicht unbedingt gebraucht hätten (aber vermutlich in der Praxis schätzen werden). Wir hätten damals nicht gedacht, dass es ein so schöner Bauwagen wird – an dieser Stelle ein ganz großes Lob an den Hersteller Herr Podnar vom Müller Schäfer- & Zirkuswagenbau in Aldingen (bei Rottweil). Jeder Bauwagen ist dort eine Einzelanfertigung von hoher handwerklicher Qualität und in unserem Fall ein Novum, weil wir die ersten waren, die auf 14 m Länge bauen konnten.

Welche Herausforderungen gab es auf dem Weg zur Fertigstellung?

Alfons Krismann: Neben dem Abstimmungen mit (manchen) Behörden war v.a. das vorgegebene Genehmigungsprozedere für uns als kleiner Träger ambitioniert: Bevor überhaupt ein Antrag auf Betriebsgenehmigung gestellt werden durfte (früher war dies einfacher), musste zunächst die Baunehmigung vorliegen und ebenfalls das benötigte Personal angestellt sein (bzw. die Verträge abgeschlossen worden sein). Gerade der Prozess das Personal aufzustocken war sehr zeitaufwendig. Diese Last lag fast komplett beim Vorstand und natürlich auch beim Kigateam. Am Ende sind wir dann schon etwas ins Risiko gegangen und mussten mit ein paar Wochen finanzieller Unsicherheit leben.

 

Wie wurde der Bauwagen an die Bedürfnisse der Kinder angepasst?

Anne Motzkuhn: Der Bauwagen ist für unsere Vorschulgruppe, die „Pusteblumen“ vorgesehen und wurde von uns entsprechend hergerichtet, da wir so die Möglichkeit hatten, uns ganz auf die Bedürfnisse der Vorschulkinder zu fokussieren. 

Wir haben viel Montessori Material, was teilweise auch in der Grundschule der Untersee genutzt wird und den Vorschulkindern auf diesem Weg bereits in ihrem letzten Jahr begegnet. Für die UNTERSEE zählt der Gedanke, dass sich der rote Faden, der sich durch alle Stufen hindurch zieht, bereits im Kindergarten beginnt.

So haben wir beispielsweise Buchstaben und Zahlen aus Sandpapier von Montessori und ein Tablett mit Sand dazu zum Schreiben, ein Grafomotorik-Set, Schwungtafeln, den Braunen und den Rosa Turm zum Erfassen von Größen, die Nummerischen Stangen und vieles mehr.

Zusätzlich zu diesen Materialien, gibt es einen Rollenspiel-Bereich auf der Hochebene, eine Leseecke, ein großes Repertoire an Mal- und Bastelutensilien und einen Handwerkswagen.

Der Handwerkswagen bietet den Kindern eine Vielzahl an Handarbeiten: Stickkarten mit Wolle zum Sticken, Strickbretter, Webrahmen, Knüpfsterne, Filzuntensilien und ähnliches. Es lädt die Kinder dazu ein, ihrem Bedürfnis der Produktion nachzugehen, was sich in dieser Altersphase deutlich anfängt herauszubilden und darüber hinaus kreativ und schöpferisch tätig zu sein.

Der große Tag des Transports

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Wie lief der spektakuläre Transport des Bauwagens über die Dächer der Schule ab?

Alfons Krismann: Ehrlich gesagt hätten wir gerne darauf verzichtet – es war die Notlösung in letzter Sekunde, natürlich spektakulär und sehr schonend für unser Außengelände (v.a der P1). Der benötigte Kran passte haarscharf in die Lücke zwischen Altbau und Container-Kita – es musste dann auch noch um ein abgestelltes Auto herumgezirkelt werden. „Witzigerweise“ weigerte sich die Kranfirma den am Straßenrand abgestellten Bauwagen 2 m weit auf die Straße zu heben – weil dieser leicht schief stand. Daher musste Clyde mit seinem Firmen-LKW einspringen und diesen rausziehen, was dank gefrorenem Boden glücklicherweise gelang… Auch die Anlieferung der WC-Container war heikel: Bis 2 Wochen zuvor war unklar, ob es zeitlich am gleichen Tag klappt mit der Anlieferung, da wir für die Container abladen mussten (sonst hätten wir nochmals einen kleineren Kran bestellen müssen). Der eigentliche Kranhub wurde außerordentlich professionell durchgeführt – erstaunlich, was alles möglich ist. Der Wagen wurde 17 cm neben der Terrassenkante abgesetzt – nötig waren eigentlich 15 cm, aber dies ging wegen dem überstehenden Dach nicht bzw. den Trageauslegern. Die letzten 2 cm hat Neville wie durch ein Wunder mit einem Radlader und Wagenhebern manuell nachträglich hinbekommen.

Welche Sicherheitsvorkehrungen mussten getroffen werden, damit alles reibungslos klappt?

Alfons Krismann: Es genügte, dass der Rangierbereich abgesperrt wurde. Natürlich war die Aufsicht über die Kinder nicht ganz leicht.

Die Zukunft des Bauwagens

Wagen innen

Welche Rolle wird der Bauwagen im Kindergartenalltag auch für die anderen Gruppe spielen?

Anne: Die anderen Gruppen werden nur selten den Bauwagen im Alltag nutzen, aber jedes unserer Kinder wird sein letztes Jahr vor der Schule als Vorschulkind im Bauwagen verbringen. So hat es auch jetzt schon für die anderen Kinder eine Relevanz und sie blicken mit Freude auf den Zeitpunkt, wenn sie so „groß“ sind, dass sie endlich in den Bauwagen einziehen können.

 

Danke an alle Möglichmacher*innen!

Ohne Visionen – kein Fortschritt. Ohne Pragmatismus – keine Umsetzung. Und ohne das Miteinander vieler engagierter Menschen wäre dieses Projekt niemals realisierbar gewesen.

Unser großer Dank gilt dem gesamten Kindergartenteam, dem Vorstand, der Stadt Radolfzell, dem Architekturbüro, den beteiligten Behörden, dem Hersteller Müller Schäfer- & Zirkuswagenbau – und ganz besonders den Eltern:

In den Wochen vor der Eröffnung haben sie mit angepackt, gebaut, geschleppt, gestrichen, eingerichtet und das Außengelände so vorbereitet, dass aus einem Stellplatz ein echter Spiel- und Lernort wurde. Auch im Inneren des Bauwagens wurden mit viel Herzblut Regale eingeräumt, Materialien sortiert, Ecken gestaltet – damit die Kinder am ersten Tag nicht nur einen neuen Raum, sondern ein neues Zuhause betreten konnten.

Wir freuen uns auf viele Jahre voller Neugier, Entwicklung und fröhlichem Bauwagen-Leben – in einem Raum, der zeigt, was möglich ist, wenn viele gemeinsam an eine Idee glauben.